Kapitel 1.3
Policy Arbeit
Auch im Jahr 2023 zeigten wir mit unseren diversen Projekten und Programmen, wie digitale Technologien zum Wohle der demokratischen Gesellschaft eingesetzt werden können und brachten uns lautstark und kompetent in viele gesellschaftliche Diskurse ein.
Obwohl an manchen Stellen Fortschritte zu erkennen sind, lässt die Umsetzung wichtiger digitalpolitischer Vorhaben weiter auf sich warten. Ein Blick in unseren ➠Koalitionstracker zeigt: Nach der Hälfte der Legislaturperiode wird es höchste Zeit, zentrale digitalpolitische Versprechen aus dem Koalitionsvertrag endlich umzusetzen. In einem ➠Gastbeitrag zur Halbzeitkritik forderten wir die Regierungskoalition auf, nun endlich konsequent zu handeln.
Vor allem beim Thema Transparenz liegen Anspruch und Wirklichkeit weit voneinander entfernt. Ein zentrales Anliegen der digitalen Zivilgesellschaft, die Einführung eines Bundestransparenzgesetzes, lässt weiter auf sich warten. Auch in der Beiratsarbeit bei Transparency Deutschland steht der gemeinsame Kampf für das Bundestransparenzgesetz im Mittelpunkt des Engagements unserer Geschäftsführerin Henriette. Selbst bei Zuständigkeiten in den Bundesministerien bleibt die Transparenz auf der Strecke. Fragt man die Ressorts danach, wer die Datenpolitik in den jeweiligen Häusern verantwortet, wiegeln sie hartnäckig ab. Unsere ➠Spurensuche zur verborgenen Digitalpolitik deutscher Ministerien fordert mit Blick auf die Datenlabore zwei obligatorische und immer noch nicht selbstverständliche Dinge: maschinenlesbare Organigramme und ein niedrigschwelliger Zugang zu Informationen auf den Webseiten der Ministerien. Paradox erschien uns auch, dass es frei zugängliche rechtswissenschaftliche Literatur im Bereich der Informationsfreiheit bisher so gut wie nicht gibt. Deswegen haben wir – kostenlos und für alle – ein ➠Handbuch für die Informationsfreiheit geschrieben. Mehr Transparenz gibt es seit Ende 2023 auch beim Gemeinsamen Ministerialblatt – aber nur, weil es auf FragDenStaat nun einen kostenlosen Zugang zu allen Vorschriften, Weisungen und Verordnungen aller Bundesbehörden seit 1950 gibt.
Eng verbunden mit Transparenz ist ein weiteres Kernthema der OKF: Open Data. Wir haben uns 2023 wieder verstärkt in den gesellschaftlichen Diskurs um offene Daten eingebracht und unsere Expertise zur Verfügung gestellt. Auf unserem neuen ➠Open-Data-Knowledge-Hub wird seit diesem Jahr auf zahlreiche gute Materialien zum Thema verwiesen, ausführliche Interviews mit Menschen aus dem Open-Data-Spektrum bereitgestellt und Erfahrungen aus der Community illustriert. Ziel ist es, funktionierende Systeme nachnutzbar zu machen und mögliche Fallstricke und Hürden zu dokumentieren. In einem ersten Use-Case wird seit Anfang 2023 ein Projekt aus der Berliner Senatsverwaltung für Finanzen begleitet, bei dem es um die Veröffentlichung von Haushaltsdaten als Linked-Open-Data geht. Das Projekt wurde auch als Maßnahme zum ➠4. Nationalen Aktionsplan Open-Government-Partnership der Bundesregierung eingereicht, bei dem die OKF als zivilgesellschaftliche Partnerorganisation von der Berliner Senatsverwaltung für Finanzen und der Staatskanzlei des Landes Schleswig-Holstein fungiert. Um möglichst viele Perspektiven und Erfahrungen zu dem Thema in das Vorhaben einzubeziehen, haben wir im Oktober ein ➠Barcamp zu Linked-Open-Data organisiert, bei dem Akteur:innen aus Verwaltung, Wissenschaft und Zivilgesellschaft zusammentrafen und über sinnvolle Anwendungsmöglichkeiten diskutierten. Im Beirat Mobilitätsdaten der Landesregierung Baden-Württemberg steht das Thema Open Data sehr weit oben auf der Agenda. OKF-Geschäftsführerin Henriette berät den Landesverkehrsminister insbesondere in Fragen der Zusammenarbeit mit Open-Data-Communities sowie dem Zusammenspiel zwischen Land und Kommunen. Mit einer ➠Initiativstellungnahme zur Änderung des Brandenburgischen E-Government-Gesetzes, Stellungnahmen zum ➠E-Government-Gesetz und dem ➠Open-Data-Gesetz in Hessen sowie der Teilnahme an einem Open-Data-Strategie-Workshop in Rheinland-Pfalz machten wir uns für die transparente Bereitstellung von amtlichen Informationen und öffentlichen Daten (nicht-personenbezogen) in diesen Bundesländern stark. Wir begrüßen die Einführung dieser längst überfälligen Gesetze, auch wenn die konkreten Ausgestaltungen hinter den Erwartungen und den längst vorangeschrittenen gesellschaftlichen Diskursen und Ansprüchen zu den Themen Offenheit und Verwaltungsdigitalisierung zurückbleiben. In unserer ➠Kommentierung der neuen Datenstrategie der Bundesregierung mahnen wir gemeinsam im Bündnis F5 an, dass ein Gesamtrahmen mit klaren Governance-Strukturen, Rollen und Prozessen sowie eine solide Dateninfrastruktur weiterhin fehlen. Welche Rollen können Daten bei gesellschaftlichen Veränderungsprozessen spielen und wie können wir dies ermöglichen? Diese Frage diskutierte Geschäftsführerin Henriette auf der Transformationskonferenz im Bundeskanzleramt zusammen mit Vertreter:innen aus Politik, Wissenschaft und Gesellschaft.
Noch in dieser Legislaturperiode soll unter Beteiligung der Zivilgesellschaft eine neue Engagementstrategie des Bundes erarbeitet werden. Die letzte Engagementstrategie stammt noch aus dem Jahr 2010. Es wird also Zeit, denn es hat sich viel getan! Das digitale Ehrenamt ist stark gewachsen und neue Technologien durchdringen mehr und mehr unser Leben. Im Rahmen der Verbändebeteiligung haben wir gemeinsam im Bündnis F5 eine ➠Stellungnahme mit vielen Vorschlägen für Verbesserungen eingereicht. Mehr Wertschätzung und niedrigschwellige Fördermöglichkeiten für das Ehrenamt – auch im digitalen Raum – sind für uns zentral. Wichtig ist aber auch, dass gesellschaftliches Engagement rechtlich auf stabilen Füßen steht. Daher setzen wir uns schon lange und weiterhin für eine Reform des Gemeinnützigkeitsrechts ein. Auch das angekündigte Demokratiefördergesetz darf nicht länger in den Mühlen politischer Diskussionen steckenbleiben, sondern muss umgesetzt werden. Gemeinnützige Vereine und Organisationen, die sich für eine offene, demokratische, vielfältige und solidarische Gesellschaft einsetzen, brauchen Unterstützung. Weil es manchmal leider viel zu lange mit der Unterstützung dauert, starteten wir 2023 mit FragDenStaat den ➠Gegenrechtsschutz. Mit diesem neuen Rechtshilfefonds unterstützen wir Betroffene in juristischen Auseinandersetzungen bei Abmahnungen und Klagen von rechten Netzwerken („SLAPP“) und schützen somit den demokratischen Diskurs gegen Angriffe von rechts.
Die Zusammenarbeit zwischen staatlichen Stellen und Zivilgesellschaft ist nicht einfach. Dennoch sollte mittlerweile allen Akteur:innen klar sein, dass es für die nachhaltige Lösung von gesellschaftlichen Herausforderungen das Zusammenwirken beider Sektoren braucht. Wie schwierig dies ist und welche Gelingensbedingungen zu einer Verbesserung der Situation beitragen können, dazu hat OKF-Geschäftsführerin einen Aufsatz im Band ➠„Examples of Civic Tech Communities-Governments Collaboration Around The World“ der Friedrich-Naumann-Stiftung Taiwan geschrieben. Auf Einladung der OECD in Paris diskutierte sie zudem mit Regierungsvertreter:innen der Mitgliedstaaten über „Getting Civic Tech Right for Democracy“. Mehr Verständnis für die Arbeitsweisen und mehr Wissen über die Expertisen und Kompetenzen der Zivilgesellschaft bei staatlichen Stellen zu generieren, ist auch Aufgabe von Henriette in ihren Mandaten als Mitglied im Beirat für die Digitalstrategie der Bundesregierung sowie im Rat der Agora Digitale Transformation. Die 20 Labs von Code for Germany, ein Netzwerk ehrenamtlich engagierter Menschen, die sich für eine gemeinwohlorientierte digitale Zukunft einsetzen, zeigen anschaulich, wie sich Menschen vor Ort engagieren. In der Blogreihe ➠Out in the Open analysieren Expert:innen monatlich aktuelle Ereignisse zu Digitalpolitik, Open Data und Civic Tech in Deutschland.
Auch im Bereich Open-Source-Software waren wir politisch aktiv. Gemeinsam mit 20 Akteur:innen aus der Zivilgesellschaft und der Freie-Software-Wirtschaft forderten wir die Bundesregierung auf, ➠eine nachhaltige und soziale Digitalpolitik umzusetzen und im Bundeshaushalt jetzt die nötigen Mittel für eine umfassende Open-Source-Förderung bereitzustellen. In Deutschland kommt der Abbau von Barrieren bisher nur schleppend voran. Trotz zunehmender gesetzlicher Verpflichtung zu digitaler Barrierefreiheit, ist Software für Menschen mit Behinderung oft nicht oder nur mit erheblichem Mehraufwand oder Unterstützung durch Dritte nutzbar. Wie sich diese Barrieren durch Freie und Open-Source-Software (FOSS) abbauen lassen, erproben beim Prototype Fund regelmäßig Projekte. Im Rahmen seiner Begleitforschung hat sich der Prototype Fund einmal genauer angesehen, welchen ➠Beitrag FOSS zu digitaler Barrierefreiheit leistet und leisten kann. Barrierefreie Software war auch ein Thema im ➠Public Interest Podcast des Prototype Fund, der mittlerweile in der fünften Staffel ist.
Vor uns liegen viele Herausforderungen auf sozialer, ökologischer und wirtschaftlicher Ebene. Offene Hardware kann ein Teil der Lösung werden. Beim allerersten ➠Forum Open Hardware befassten sich 100 Expert:innen mit der Frage, wie das gelingen kann. Darüber hinaus zeigte diese Pionierveranstaltung innovative und kreative Demonstratoren für Hardwareprojekte, die vorher durch eine Pilotphase des Prototype Fund Hardware gefördert wurden. Die ➠Publikation “Unboxing Blackboxes” fasst alle Themen zusammen und zeigt auf, wie mit Zivilgesellschaft und offener Hardware eine nachhaltige Zukunft gelingen kann. Rahmenbedingungen, die Müllberge klein und Produkte von Beginn an modular, veränderbar und reparierbar halten, werden aber leider immer noch kaum diskutiert. Damit sich das ändert, forderten wir mit 29 weiteren NGOs ➠mehr Gestaltungswillen für die Kreislaufwirtschaftsstrategie (NKWS) der Bundesregierung. Dieser Beitrag beschreibt die mögliche ➠Rolle von Open-Source-Hardware in der Kreislaufgesellschaft und kritisiert das Fehlen einer grundsätzliche Debatte darüber, wie ein alternatives Verständnis von Technologie und ihres nachhaltigen Nutzens für die Gesellschaft aussehen könnte.
Einen Perspektivwechsel fordert auch das ➠Bündnis F5. Damit das Gemeinwohl in der Digitalpolitik im Fokus steht, suchen wir gemeinsam mit unseren Bündnispartner:innen den strukturierten Dialog mit Politikschaffenden. Um die Chancen und Herausforderungen der digitalen Zukunft zu diskutieren, veranstalteten wir parlamentarische Frühstücke zur Förderung des digitalen Ehrenamts, über das Digitale-Dienste-Gesetz sowie zur Überwachungsgesamtrechnung. Im Austausch mit der Exekutive stellten wir die Vorteile von Zirkularität und Offenheit in Soft- und Hardware vor. Auf unserem ➠Netzwerkabend diskutierten wir, was sich in der aktuellen Digitalpolitik ändern muss und wie eine bessere Beteiligung der Zivilgesellschaft gelingt. Neben den bereits erwähnten Stellungnahmen, forderten wir im Rahmen des Digital-Service-Act (DSA) eine zentrale und gut organisierte ➠Plattformaufsicht. Auf der re:publica organisierten die F5-Organisationen in diesem Jahr zum ersten Mal einen gemeinsamen Stand. Dieser bot neben einem vielfältigen, von den Bündnisorganisationen gestalteten Programm auch die Möglichkeit, mit bereits bekannten und mit neuen Interessierten ins Gespräch zu kommen. Die vielen Besucher:innen des Standes informierten sich über die Arbeit des Bündnisses und lernten die Vielfalt der Themen kennen, für die wir uns einsetzen.
Im ersten Jahr ihrer Regierungstätigkeit hat die neue Schwarz-Rote Berliner Landesregierung im Digitalbereich vor allem an der Theorie gearbeitet – aber in der Praxis Forderungen der Zivilgesellschaft weiter ignoriert. Daher ➠forderten wir in unserem Blog: In der restlichen Legislaturperiode muss zum Handeln übergegangen werden. In einem weiteren Blogbeitrag ordneten wir den neuen Koalitionsvertrag ein und mussten leider konstatieren: ➠digitalpolitisch unambitioniert.
Die politische Arbeit der OKF fand nicht nur auf der Bundes- und Landesebene statt, denn: Auch die internationale Digitalpolitik braucht eine starke Zivilgesellschaft. Deswegen hat sich die OKF im Rahmen eines Bündnisses aus zivilgesellschaftlichen Organisationen die bisherigen Vorschläge des ➠Global-Digital-Compact der Vereinten Nationen genauer angeschaut und Impulse für wünschenswerte Anpassungen erarbeitet; diese Vorschläge wurden dem Auswärtigen Amt von den mitwirkenden Organisationen überreicht.